Montag, 2. Dezember 2013

briefe an henri vol. 8 - Kinder, Monster und Tierschutztanten

Lieber Henri,

Ich öffnete eines Morgens meine Tür, ging nichts ahnend hinaus und da überkam sie mich: Die eisige Kälte des Winters; herzlose Geliebte des Todes; die urzeitliche Bestie, die schon unseren Vorfahren das Leben zur Hölle gemacht hat. Wobei Hölle in diesem Zusammenhang vielleicht ein schlechter Vergleich ist, denn die wäre zumindest warm. Meine Brustwarzen werden hart in der Kälte, so dass ich damit locker Glas schneiden könnte. Die Extremitäten, sowie das charaktergebende Gesicht und die durchaus praktischen Ohren, werden zu verhassten Schwachstellen an meinem Körper. So verstehe ich mittlerweile, warum der gute van Gogh sich eines Ohres entledigt hat. Soviel zum körperlichen. Viel interessanter ist jedoch zu betrachten, was diese Kälte mit dem Geiste anstellt. Der subversive Teil in mir, der zeitweise an nihilistischem Zynismus grenzt, trifft auf den romantischen Tradionalisten, auf das grosse Kind in mir. Es ist der alte Kampf zwischen Bewahren und Erneuern, nur mit einer vertauschten Gut-Böse-Verteilung. Und ob du es glaubst oder nicht, das kleine, schwache Kind mit den roten Wangen, der triefenden Nase und den glänzenden Augen; es gewinnt gegen dieses dunkle, grosse Monster aus Selbsthass und Enttäuschung, mit seinen reissenden Zähnen und seinem grässlichen Schwefelgestank. Also, auch ich habe nun einen Adventskranz, ein kleines Plastikbäumchen und eine Lichterkette auf dem Balkon. Es freut mich, dass deine Bar wieder offen hat. Auf dass sich die Säufer so nahe an den Tod saufen wie nur möglich ist! Die Weihnachtsbieraktion kann ich als verkaufsfördernde Massnahme nur begrüssen. Vielleicht könntest du die Aktion noch mit einer Treuekarte unterstützen (jedes elfte Bier gratis oder so). Das gratis Bier kannst du locker mit einer zehnprozentigen Preiserhöhung finanzieren, merkt keiner der Säufer. Ludmillas slawischer Pragmatismus und dein ur-schweizerischer Geschäftssinn scheinen sich gut zu ergänzen. Ich werde in den nächsten Wochen bestimmt mal wieder bei dir reinschauen. Für dieses Jahr ist keine Auslandsreise mehr geplant. Ich richte nächste Woche eine Weihnachtsfeier für ein grosses Kommunikationsunternehmen aus. Hat auch Vorteile, dass heutzutage alles outgesourced wird. Eventmanagement ist allerdings ein harter Job. Ich darf mir da keinen Fehler erlauben. So gesehen habe ich aktuell gar keine Zeit um mich mit der Haustierfrage zu beschäftigen. Aber ich würde eher auf die Katze tendieren. Natürlich scheisst die Katze auf meine Gefühle, aber ich würde ja auch auf die Katze scheissen, wenn mir gerade danach wäre. Wenn die mich nervt oder kratzt oder nicht kuscheln will, dann gibt es halt nichts zu fressen. So einfach würde ich das handhaben. Sollen mir die Tanten vom Tierschutz doch mal gepflegt einen abkauen, so sehe ich das. Die Option Papagei muss ich mal genauer unter die Lupe nehmen. Übrigens habe ich deinen Rat zu Herzen genommen und die Schulmedizin aufgegeben. Damit habe ich auch wieder ein paar Hunderter gespart. Versuche es nächstes Jahr tatsächlich mal im Heilungsbusiness, beziehungsweise denke ich über Mentalcoachings, Motivationstrainings und Konfliktmanagementseminare nach. Also das nutzlose, inhaltslose Blabla, welches mir durchaus liegt. Blende die Leute und sie denken, sie hätten warm. So einfach funktioniert das. Ich knuspere in Balde an deinem Häuschen und führe mir ein paar Weihnachtsbiere zu Gemüte!


Herzliche Grüsse

Ernie

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