Lieber Henri,
Ich öffnete eines Morgens meine
Tür, ging nichts ahnend hinaus und da überkam sie mich: Die eisige Kälte des Winters; herzlose
Geliebte des Todes; die urzeitliche Bestie, die schon unseren Vorfahren das
Leben zur Hölle gemacht hat. Wobei Hölle in diesem Zusammenhang vielleicht ein
schlechter Vergleich ist, denn die wäre zumindest warm. Meine Brustwarzen
werden hart in der Kälte, so dass ich damit locker Glas schneiden könnte. Die
Extremitäten, sowie das charaktergebende Gesicht und die durchaus praktischen
Ohren, werden zu verhassten Schwachstellen an meinem Körper. So verstehe ich
mittlerweile, warum der gute van Gogh sich eines Ohres entledigt hat. Soviel
zum körperlichen. Viel interessanter ist jedoch zu betrachten, was diese Kälte
mit dem Geiste anstellt. Der subversive Teil in mir, der zeitweise an
nihilistischem Zynismus grenzt, trifft auf den romantischen Tradionalisten, auf
das grosse Kind in mir. Es ist der alte Kampf zwischen Bewahren und Erneuern,
nur mit einer vertauschten Gut-Böse-Verteilung. Und ob du es glaubst oder
nicht, das kleine, schwache Kind mit den roten Wangen, der triefenden Nase und
den glänzenden Augen; es gewinnt gegen dieses dunkle, grosse Monster aus
Selbsthass und Enttäuschung, mit seinen reissenden Zähnen und seinem
grässlichen Schwefelgestank. Also, auch ich habe nun einen Adventskranz, ein
kleines Plastikbäumchen und eine Lichterkette auf dem Balkon. Es freut mich,
dass deine Bar wieder offen hat. Auf dass sich die Säufer so nahe an den Tod
saufen wie nur möglich ist! Die Weihnachtsbieraktion kann ich als verkaufsfördernde
Massnahme nur begrüssen. Vielleicht könntest du die Aktion noch mit einer
Treuekarte unterstützen (jedes elfte Bier gratis oder so). Das gratis Bier
kannst du locker mit einer zehnprozentigen Preiserhöhung finanzieren, merkt
keiner der Säufer. Ludmillas slawischer Pragmatismus und dein
ur-schweizerischer Geschäftssinn scheinen sich gut zu ergänzen. Ich werde in
den nächsten Wochen bestimmt mal wieder bei dir reinschauen. Für dieses Jahr
ist keine Auslandsreise mehr geplant. Ich richte nächste Woche eine Weihnachtsfeier
für ein grosses Kommunikationsunternehmen aus. Hat auch Vorteile, dass
heutzutage alles outgesourced wird. Eventmanagement ist allerdings ein harter
Job. Ich darf mir da keinen Fehler erlauben. So gesehen habe ich aktuell gar
keine Zeit um mich mit der Haustierfrage zu beschäftigen. Aber ich würde eher
auf die Katze tendieren. Natürlich scheisst die Katze auf meine Gefühle, aber
ich würde ja auch auf die Katze scheissen, wenn mir gerade danach wäre. Wenn
die mich nervt oder kratzt oder nicht kuscheln will, dann gibt es halt nichts
zu fressen. So einfach würde ich das handhaben. Sollen mir die Tanten vom
Tierschutz doch mal gepflegt einen abkauen, so sehe ich das. Die Option Papagei
muss ich mal genauer unter die Lupe nehmen. Übrigens habe ich deinen Rat zu
Herzen genommen und die Schulmedizin aufgegeben. Damit habe ich auch wieder ein
paar Hunderter gespart. Versuche es nächstes Jahr tatsächlich mal im Heilungsbusiness,
beziehungsweise denke ich über Mentalcoachings, Motivationstrainings und
Konfliktmanagementseminare nach. Also das nutzlose, inhaltslose Blabla, welches
mir durchaus liegt. Blende die Leute und sie denken, sie hätten warm. So
einfach funktioniert das. Ich knuspere in Balde an deinem Häuschen und führe
mir ein paar Weihnachtsbiere zu Gemüte!
Herzliche Grüsse
Ernie
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