Montag, 30. Dezember 2013

Briefe an Henri Vol. 9 - Technische Probleme und Frau Teppichboden

Lieber Henri,

Weihnachten ist beerdigt und das alte Jahr liegt in seinen letzten Zügen, bereit einem jüngeren, vitaleren Abbild seiner selbst Platz zu machen. Das Jesuskind aus Polypropylen wird mitsamt seiner billig verarbeiteten Holzkrippe, made in China, in einen vollgestopften Umzugskarton verstaut und bis nächstes Jahr in den dunklen Keller verfrachtet. Diese biedermeiersche Auslebung des Fritzltums macht mich etwas traurig, aber lassen wir die sentimentalen Sabbeleien. Das Weihnachtsfest, welches ich für die Firma XYZ organisiert habe, war ein monumentales Desaster. Zunächst lief alles reibungslos, schliesslich gab es zu dem Ablauf ein achtseitiges Script und nachmittags fand eine kleine Hauptprobe für den offiziellen Teil statt. Um dir das Ausmass der Katastrophe begreiflich zu machen, muss ich zwei Punkte als Exposition vorausschicken. Zum einen habe ich aus Kostengründen darauf verzichtet, einen professionellen Tontechniker für den Anlass anzuheuern. Stattdessen habe ich das Equipement bei einer Event-Agentur gemietet und mir die Bedienung der Beschallungsanlage zeigen lassen. Zum anderen hatte ich in der Vorbereitungsphase ziemlich intensiven Kontakt mit der Sekretärin der Geschäftsleitung, welche meine Hauptansprechperson war. Nennen wir sie mal Frau Teppichboden. Die gute Frau Teppichboden ist mitte Zwanzig und passt perfekt in mein Beuteschema. Somit nahm das Unheil seinen Lauf. Ich moderierte durch den ganzen Abend und trug dazu ein Lavalier-Mikrofon – die Dinger, die man an die Kravatte stecken kann. Nach der Vorspeise waren alle schon etwas angetrunken und heiter, auch ich. Ich hielt mich aber gut, stieg auf die Bühne, machte ein paar Spässe und kündete den Geschäftsführer an, der nun eine  einstündige Rede hielt. Ich verschwand hinter der Bühne, wo mich Frau Teppichboden mit einer Flasche Champagner empfing. Wir verschwanden in einem kleinen Kämmerchen und hielten ein Schäferstündchen. Jedenfalls ein halbes Stündchen, damit wir auch ja zurück waren, bevor der Herr Geschäftsführer mit seinem Monolog fertig war. Als wir in den Saal kamen, war niemand mehr auf der Bühne am reden, stattdessen rannten ein paar hochrote Gesichter umher, tumultartige Szenen, wie man sie sonst nur von Fussballspielen kennt, trugen sich zu. Es gab kleine Rangeleien, Geschrei, Gelächter und laut fluchende Kravattenträger. Manche versuchten, Anderen die Handies wegzunehmen, ein paar sangen hemmungslose Lieder und als man uns im Saal bemerkte, schallte uns eine Welle donnerndes Gelächter entgegen. Wir mussten schliesslich zu meinem Auto flüchten und fuhren zu meiner Wohnung. Später habe ich realisiert, was passiert war: Ich hatte vergessen, mein Mikrofon auszuschalten. Die geistreiche Rede zum Geschäftsverlauf 2013 wurde also von dem ekstatischen Stöhnen von Frau Teppichboden unterbrochen, was im Saal zu chaotischen Zuständen führte. Ich habe erfahren, dass ein paar Angestellte die Szenerie mit dem Handy filmten. Denen hat man das Handy abgenommen und die Aufnahmen gelöscht, damit die Peinlichkeit nicht auf einer Videoplattform landete. Ich selbst habe den Anlass mit meinem HD-Recorder festgehalten. Diese Aufnahmen haben schliesslich dazu geführt, dass ich doch noch zu einer angemessenen Bezahlung kam und über den Vorfall stillschweigen bewahrt wird. Du siehst, Weihnachtszeit ist eine hektische Zeit, aber das kennst du ja bestimmt von deiner Kneipe und von deiner Uschi. Ich hoffe, der gute Uli konnte ihr ein paar schöne Geschenke besorgen. Was hat sie denn so gekriegt und was hast du bekommen? Ich habe leider wieder ein ziemlich einsames, trostloses Weihnachtsfest verbracht, bekam aber noch Besuch von Frau Teppichboden. So gesehen darf ich mich nicht beklagen. Morgen ist Silvester, ich freu mich schon darauf, bei dir in der Kneipe zu feiern. Dieses Jahr lassen wir mit einem Knall enden!

Liebe Grüsse


Ernie 

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